(Verlagstext)
1916, irgendwo an der Ostfront zwischen Polen und Russland. Hinter den Toren eines Waisenhauses verbirgt sich unfassbares Grauen: Zwischen den Trümmerteilen des zerstörten Gebäudes und den verrottenden Leichen seiner ehemaligen Bewohner haben drei Kinder überlebt. Inmitten des unmenschlichen Krieges mussten sie dafür zu Monstern werden, denn sie ernähren sich von verlorenen Soldaten, die sie in ihr Domizil locken, umbringen und verspeisen. Eine der Waisen erträgt diese Art zu leben jedoch nicht länger und findet neue Freunde in den wunderschönen Porzellanpuppen, die in einem der vielen Räume des Waisenhauses auf hohen Regalen sitzen. Ihre ewig starr lächelnden Münder versprechen ihm Hilfe, wenn er ihnen ihren sehnlichsten Wunsch erfüllt…
Die Coverillustration hat mich sofort angesprochen. Ich habe mich gleich gefragt, was diesen Kindern wohl passiert ist und was es mit all den Gruselpuppen auf sich hat. Man wird definitiv schon vor dem Aufschlagen des Comics auf die richtige “Mood” eingestimmt, von daher alles richtig gemacht.
Dieser Horror Einteiler fiel mir sofort beim Durchsehen des Splitter Programms ins Auge und wanderte sofort auf meine Must-Have Liste. Als der Comic mich erreichte, war ich überrascht, dass sogar ein fetter roter “ab 18” Sticker drauf prangte, was mich nur noch neugieriger werden ließ und dazu führte, dass ich den Comic sofort nach auspacken zu lesen begann.
Sie haben Hunger…
Die Handlung dieses Horrorcomics ist schnell erzählt: In einem Waisenhaus zur Zeit des 1. Weltkrieges sind die drei Kinder Maurice, Ofelia und Otto die letzten Überlebenden. Auf sich allein gestellt, finden sie nur eine grausige Nahrungsquelle: Menschenfleisch. Während Maurice, dessen Idee das war, sich immer mehr an das dadurch erhaltene Machtgefühl berauscht und Ofelia zur innerlich abgestumpften Mitläuferin geworden ist, kann der jüngste, Otto, dieses Leben nicht mehr lange ertragen. Zuflucht findet er bei den alten, gesprungenen Porzellanpuppen, die ihm Angst machen und trösten zugleich. Was Otto noch nicht weiß: Auch die Puppen haben einen Plan…
Worüber ich bei diesem Comic zuerst reden möchte, ist der eindrucksvolle Zeichenstil von Juan Manuel Tumburu. Der Künstler arbeitet rein digital, das erkennt man an den weichen Verläufen in den Gesichtern und Hintergründen, die man so mit realen Pinseln oder Stifte nicht erreichen kann, aber das sei jetzt nur als Anmerkung, keine Kritik. Ich finde es völlig legitim und genauso künstlerisch, wenn man sich für ein digitales Medium entscheidet, wie für Tusche, Öl oder Aquarell. Was zählt, ist das Ergebnis und hier braucht sich Juan Manuel Tumburu wahrlich nicht zu verstecken. Seine Linien sind weich, fast zart, ein Stil, den man bei Kinderbüchern schon häufiger gesehen hat, was einen interessanten Kontrast zu dem Horror/Gore-Motiv des Comics schafft (ein Eindruck, der durch das florale Vorsatzpapier nur verstärkt wird). In der Kolorierung hingegen fährt der Künstler dann alles auf, was die Farbpalette an Tristesse, Melancholie, Dreck und Blut herzugeben hat, sodass man trotz weicher Linienführung immer die passende Atmosphäre für die grausame Handlung hat.
Mit leeren Augen von Diego Agrimbau und Juan Manuel Tumburu, Splitter Verlag, 2023, S. 5,10.
In Bezug auf die Handlung finden wir hier klassische Horrorelemente: Gruslige Kinder, noch grausigere Puppen und eine Fokussierung auf Augen. Auch die Handlung folgt genretypischen Muster, mit zunächst ruhigerem Start, unterbrochen von einzelnen Schockmomenten, die in eine Eskalation gipfeln. Doch nur weil etwas althergebracht ist, muss es ja nicht schlecht sein. Es hat ja seine Gründe, warum sowas seit Ewigkeiten funktioniert und so mag Mit leeren Augen zwar nicht das Rad neu erfinden, macht aber dafür ziemlich Spaß zu lesen. Und völlig ohne eigene Ideen ist das Duo ja auch nicht. Besonders die Puppen fand ich gut gelungen, da sie sich nicht dem typischen Chucky/Anabelle Muster entsprechend verhalten. Was genau sie von diesen unterscheidet, verrate ich euch aber nicht. Auch das Weltkrieg-Setting hebt den Comic von anderen ab, denn die übernatürlichen Aspekte mal beiseite gestellt, fällt es einem nicht schwer zu glauben, dass eine so ähnliche Geschichte tatsächlich stattgefunden haben könnte (dass es aufgrund der Notlage, sowohl im Ersten, als auch im Zweiten Weltkrieg zu Kannibalismus kam, ist belegt). Das führt dazu, dass auch nach dem Lesen ein beklemmendes Gefühl bleibt und einen die kurze Geschichte nicht so schnell wieder loslässt.
Mit leeren Augen beeindruckt visuell mit tristester Farbpalette und einem ansprechenden Kontrast zwischen weichen Zeichnungen und der dargestellten Brutalität, während die Handlung bewährte Horrorelemente gelungen verknüpft. Ein rundum unterhaltsamer Horrorcomic.