(Verlagstext)
Vor rund 2000 Jahren schrieb Sophokles “Antigone”, eine klassische griechische Tragödie. Heute würde man Antigone eine starke Frau nennen, und dass sie von König Kreon, ihrem eigenen Onkel und Ziehvater, lebendig eingemauert wurde, war wohl zu jeder Zeit ein Horror. Die Zeichnerin Olivia Vieweg liebt dieses Genre und hat mit “Endzeit” bereits eine Graphic Novel und einen Zombiefilm veröffentlicht.
Das Cover könnte man ohne weiteres sofort bei jeder Demonstration für Frauenrechte auf ein Plakat drucken, denn es vermittel sofort das Gefühl hier eine Frau zu sehen, der Unrecht getan wurde, die jedoch bereit ist zu kämpfen. Das war sicherlich auch di Intention hinter dem Motiv
Im Januar 2022 las ich ja die Antigone Adaption aus der Mythen der Antike Reihe und war schwer begeistert. Daher war ich sehr neugierig, als ich diese weitere Comicadaption der Tragödie entdeckte und war gespannt, wie jemand anderes den Stoff adaptiert.
Die Märtyrerin und der Tyrann
Antigone gegen Kreon. Die heldenhafte und edle Märtyrerin gegen den bösen bösen Mann, äh, Tyrann, äh ach egal, wird hier sowieso beides gleichgestellt. Das ist im Grunde die gesamte Zusammenfassung dieser Adaption. Auf den gerade mal 64 kleinformatigen Seiten ist jedoch nicht viel Platz, um dieser Tragödie den nötigen Raum zu bieten, daher wird gnadenlos gekürzt. Das Erste, was dem Rotstift zum Opfer fällt, ist das Ende, pff wer braucht das auch schon. Lieber einfach genau da aufhören, wo man den größten (Blut)Schocker schildern kann, das muss reichen. So, wo können wir noch kürzen? Ah ja, die Einsicht Kreon, dass er falsch lag. Männer Tyrannen sind pööse, die sehen gar nichts ein, also weg damit.
Und so geht es immer weiter. Sophokles Werk wird gestaucht, zusammen geschnippelt, gekürt und vor allem vereinfacht. Was im Original ein Konflikt auf mehrere Ebenen ist, nämlich göttliches Recht gegen weltliches Recht, Verpflichtung gegenüber dem Blut gegen Verpflichtung gegenüber dem Staat/der Gemeinschaft, Rebellion gegen Gesetz, weiblicher Widerstand gegen männliche Herrschaftsansprüche, wird in dieser Comicadaption lediglich auf letzteres reduziert. Kreon wird zum absoluten Feindbild erklärt, Antigone hingegen verklärt. Das vereinfach das Ganze meine Meinung nach viel zu sehr und raubt dem Stück auch den Charakter einer Tragödie.
Versteht mich nicht falsch, ich finde es durchaus ok, klassische Stücke zu modernisieren und den Fokus auf die weibliche Perspektive zu legen finde ich sogar richtig klasse, trotzdem muss man sich meiner Meinung nach mit dem Original beschäftigen und diese Auseinandersetzung hat in meinen Augen hier nicht stattgefunden. Als Beispiel, was ich genau meine, könnte man kurz Madeline Miller betrachten. Sie stellt auch weibliche Figuren der Mythologie in ein neues Licht und hinterfragt patriarchale Strukturen, aber nicht, indem sie einfach die Hälfte des Stücks/des Mythos ignoriert, sondern indem sie Vorhandenes weiterdenkt und vertieft. Sie erweitert die Handlung, statt sie herunterzubrechen, wie es bei dieser Adaption geschehen ist.
Was mir gut gefallen hat, um diese Rezension auch mit was Positivem zu beenden, war die grafische Ausarbeitung des Comics. Besonders der gezielte Einsatz von rot in dem ansonsten schwarzweiß gehaltenen Comic war sehr stimmig und auch die Figuren mochte ich, da sie trotz des recht einfachen Stils überraschend ausdrucksstark wirkten.
Die Adaption von Sophokles Antigone konnte mich leider überhaupt nicht überzeugen. Die Tragödie wird drastisch gekürzt, die verschiedenen Ebenen des Konflikts auf eine plumpe Art runtergebrochen und auf “Männer sind böse Tyrannen” reduziert. Einen Punkt gibt es noch, weil prinzipiell die feministische Interpretation des Mythos eine völlig legitime und gerechtfertigte Betrachtung ist, wenngleich sie hier mangelhaft ausgeführt wurde und den anderen gibt es für die die doch stimmige visuelle Darstellung.