(Klapptext)
Mizuki macht sich schon seit einiger Zeit große Sorgen um ihren Großvater Ichiro. Irgendetwas hat ihm jegliche Lebenslust genommen. Er erzählt ihr schließlich von seinem Geheimnis, dem Versprechen, das er damals nicht halten konnte. Im August 1945, als Hiroshima von der Atombombe verwüstet wurde und der siebzehnjährige Ichiro die kleine Keiko aus dem Inferno retten sollte…
Mir gefällt das Cover soweit ganz gut. Die Anspielung auf Japans Flagge ist natürlich leicht zu erkennen. Der Junge und das Mädchen erinnern mich sehr stark an Seita und Setzuko aus Die letzten Glühwürmchen, wie auch Teile der Geschichte selbst, aber rein vom Optischen passt es natürlich sehr. Sehr schön sind die aquarellartigen Illustrationen von Natsko Seki, davon hätte ich gerne noch mehr gehabt. Ebenfalls ganz nett ist die Faltanleitung für Kraniche am Ende.
Ich kann nicht genau sagen wieso, oder was das über mich aussagt, aber die Atombombenabwürde in Hiroshima und Nagasaki üben eine grausige Faszination auf mich aus. Vielleicht, weil es nicht in meinem Kopf will, wie man zu diesen Waffen greifen konnte, wie man wissentlich so viel Leid und Elend verursachen konnte. Ich versuche das Schicksal dieser Menschen zu verstehen, versuche zu verstehen, was aber eigentlich nicht verstanden werden kann. Trotzdem greife ich immer wieder zu Büchern, die diese Thematik aufgreifen und so geriet auch Der letzte Papierkranich schnell in mein Blickfeld.
“Wir alle sind Geschichten”
In dem Buch haben wir zwei Handlungsstränge. Die Rahmenhandlung spielt in der Gegenwart. Mizuki macht sich Sorgen um ihren Großvater Ichiro, der zunehmend verbittert und verzweifelt wirkt. Sie möchte ihm helfen und sucht daher die Ursache für seine Traurigkeit. Schnell stößt sich auf die tragische Vergangenheit ihres Großvaters in dessen Heimatstadt Hiroshima …
Dieser Gegenwart-Teil ist komplett in Versform geschrieben, wobei der “Text” in einer freien Versform ist, während die Kapitel stets von einem Haiku eingeleitet werden. Ein Ansatz, den ich sehr interessant fand und der sich doch besser lesen ließ, als erwartet.
Schatten der Vergangenheit
zehren an seiner Seele
Was geschieht in seinem Kopf,
was ihm so zusetzt?Was bedrückt
den Mann,
der mir einst
das Radfahren
beibrachte?(Der letzte Papierkranich von Kerry Drewery, Arctis Verlag, 2020, S. 21.)
Wenngleich ich, nur eine Leseprobe des Originals gelesen habe und es daher nicht ganz genau sagen kann, habe ich doch das Gefühl, dass Meritxell Janina Piel als Übersetzerin hier auch einen wirklich guten Job gemacht hat. Zumindest bei den freien Versen. Die Haikus verlieren manchmal etwas von ihrer Bedeutung, aber das kreide ich ihr nicht an, denn Haikus sind halt echt schwer zu übersetzten, da man ja drauf achten muss die Silbenzahl beizubehalten.
Wenn deine Welt von einer Sekunde zur anderen explodiert
Der mittlere Teil ist wieder in Prosaform geschrieben und in dem erzähl Großvater Ichiro von seiner Vergangenheit und den Ereignissen in Hiroshima, als die Bombie fiel, wobei er mit seinen Erinnerungen unmittelbar vor dem Abwurf beginnt.
Aus dem Augenwinkel sehe ich Hiro, der zum Fenster geht.“Ein B-29-Bomber”, stellt er fest. “Aber nur einer.”Mein Finger liegt auf Seite dreihundertachtundvierzig und markiert das letzte Wort, das ich im “Davor” lesen werde, während ich das deutliche und vertraute Brummen des amerikanischen Flugzeugs höre. Hiro dreht sich zu mir um. “Da ist irgendwas …”Der Rest seines Satzes verbrennt im alles verschlingenden Weiß.(Der letzte Papierkranich von Kerry Drewery, Arctis Verlag, 2020, S. 32f..)
Als Leser*in begleiten wir Ichiro und seinen Freund Hiro auf ihrer Suche nach Keiko durch das bis zur blanken Erde zerstörtem Hiroshima. Leider kann man sich eigentlich, wenn man den online genutzten Inhaltstext durchgelesen hat, diesen Teil fast sparen, da der Inhaltstext aber auch wirklich ALLES vorwegnimmt, was in Anbetracht der Kürze des Buches nicht nur ärgerlich, sondern schlichtweg untragbar ist.
Hat man nur den Klapptext auf der Rückseite des Buches gelesen (den ich auch oben verwende) ist man besser dran und ist das Schicksal von Ichiro und Keiko in Hiroshima deutlich emotionaler, wenngleich, und das ist mein großer Kritikpunkt an diesem Buch, alles trotzdem sehr oberflächlich bleibt. Das Buch ist im Grunde viel zu kurz, um die Emotionen wirklich zu übermitteln, die es den/die Leser*in fühlen lassen will. Die Handlung fliegt dahin, Figuren bleiben blass, für tiefgründige Auseinandersetzungen mit dem Grauen fehlt die Zeit. Die Geschichte ist dramatisch, keine Frage, doch es ist Schrecken, erzählt im Eiltempo, weshalb es viel von seiner Eindringlichkeit verliert. Auch das Ende der Rahmenhandlung fand ich viel zu schnell erzählt und in meinen Augen auch etwas zu kitschig. Zumindest letzteres ist jedoch eher Geschmackssache. Ein bisschen hatte ich auch das Gefühl, dass die Autorin ihre Ideen aus Die letzten Glühwürmchen und Sadako will leben zusammengemischt hat, aber das nur mein Gefühl, ich will der Autorin da nichts unterstellen und lasse diesen Punkt auch nicht in meiner Bewertung einfließen.
Das Buch ist für Jugendliche als Einstieg in dieses Thema sicher nicht verkehrt. Es ist ein kurzes, aber einnehmend erzähltes Einzelschicksal, dass ohne zu verstören versucht, dieses katastrophale Ereignis abzubilden. Um wirklich nachhaltig bewegend zu sein, fehlt es jedoch deutlich an Tiefe, denn ein sensibles Thema allein, macht noch kein tiefgründiges Buch.
cubeys
Eine Kollegin hat das Buch auch gelesen und hatte eine sehr ähnliche Meinung wie du 🙂 Dann kann ich es aber glaube ich, getrost von meiner WuLi kicken 🙂
Miss_Pageturner
Hi,
das freut mich ja irgendwie sehr, weil ich sonst eigentlich nur sehr, sehr positive Stimmen gehört habe. Das ist halt auch ein Buch, wo ich das Gefühl habe, dass es wegen des Themas positive wertet wird, nicht weil es tatsächlich gut recherchiert oder geschrieben wäre.
LG Sandra