Hallo ihr Lieben, willkommen zu einer weiteren Runde der Classic Time.
Was ist Classic Time? 
Zuletzt stellte ich euch ja Anne auf Green Gables vor und alle, die Gefallen an dem quirligen Waisenmädchen gefunden habe, sollten jetzt genau hinschauen, denn unser heutiger Klassiker ist ideal für alle Anne Fans:

Worum es geht

Judy ist eine Waise und lebt in einem Waisenhaus. Sie ist aufgeweckt und klug und als sie einen frechen Aufsatz schreibt, kommt nicht etwa die erwartete Schelte, sondern die Unterstützung eines geheimen Gönners, der Judy für ihr literarisches Talent lobt. Er finanziert ihr eine komplette Collegeausbildung, es gibt nur zwei Bedingungen: 1.) er möchte um jeden Preis anonym bleiben und 2.) Judy soll ihm jeden Monat einen Brief schreiben. Judy kann ihr Glück kaum fassen, doch als sie sich bei ihrem geheimnisvollen Geldgeber bedanken möchte, erhascht sie nur einen Blick auf dessen Schatten mit den ellenlangen Beinen und beginnt daher fortan ihre Briefe mit: Lieber Daddy Long Legs… (im engl. ist das eine umgangssprachliche Bezeichnung für den Weberknecht, so wie der bei uns auch Opa Langbein genannt wird)

Eine junge Frau, die man lieben muss

Judy Abbott in der Animeadaption des Buches (Das Geheimnis von Daddy Langbein (Watashi no Ashinaga Ojisan))

Vorhang auf für Judy! Wie schon eingangs erwähnt, könnten Judy und Anne glatt Schwestern sein. Beide wuchsen in einem Waisenhaus auf, beide träumen davon Schriftstellerin zu werden und beide weigern sich, sich von den Erwartungen, wie ein junges Mädchen zu sein hat, einengen zu lassen.

Doch Judy ist kein Abklatsch von Anne. Wenngleich sich der Start ihrer Lebensgeschichte und ihr Traum Schriftsteller zu werden ähnelt, haben sie doch unterschiedliche Charaktere. Judy ist ein lebensfrohes, kluges und ehrgeiziges Mädchen, die sich nicht scheut, auch mal jemandem die Meinung zu sagen. Sie besitzt zwar auch viel Fantasie, ist aber energischer und weniger verträumt, als Anne. Darüber hinaus beweist sie in ihren Briefen immer wieder einen großartigen Sinn für Humor. Manchmal etwas unfreiwillig, wenn sie, wie sie berichtet, im Sport oder anderen Situation etwas tollpatschig ist, andermal ganz bewusst in ihren Briefen mit klugen, witzigen Analysen und kleinen Sticheleien, die aber niemals wirklich gemein sind.

Alles in allem ist Judy ein Charakter, den man sofort ins Herz schließt. Ihre Lebensfreude und Begeisterung ist ansteckend und ihre Briefe lesen sich so lebendig, dass man als LeserIn des Romans das Gefühl hat, tatsächlich eine Freundin namens Judy Abbot zu haben, die einem regelmäßig schreibt.

Ein Briefroman

Lieber Daddy-Long-Legs ist jedoch nicht nur aufgrund der Protagonistin so großartig, sondern auch wegen der Art und Weise, wie Autorin Jean Webster es schafft, einen Roman, der ausschließlich aus Briefen ohne Antwort besteht, so lebendig erscheinen zu lassen. Bei Briefromanen besteht immer die Gefahr, dass die Charaktere unnahbar erscheinen, da es nun mal nur sehr beschränkte Möglichkeiten für Dialoge und Interaktionen gibt. Die einzige Möglichkeit diese einzubinden ist es, den oder die VerfasserIn davon berichten zu lassen, was aber manchmal eher zu schnöden Berichten verkommt. Nicht jedoch bei Daddy Long-Legs! Obwohl Judy hauptsächlich von ihrem Alltag am College, was sie so liest und Ähnliches berichtet, wird es zu keinem Zeitpunkt langweilig, den Judy erzählt von allem sehr emotional. Man spürt die Freude, wenn sie etwas Neues gelernt oder ein neues tolles Buch gelesen hat, die Enttäuschung, wenn sie eine schlechte Note bekam oder auch mal den Ärger und Frust, wenn das Lernen ansprechend war. Judy lässt einen an ihr Leben teilhaben und man durchlebt alle Höhen und Tiefen mit ihr, man lacht und ärgert sich und ehe man es sich versieht, ist die letzte Seite erreicht und man fragt sich bedauernd, was an nun ohne neue Briefe von Judy tun soll.

Die Daddy-Long-Legs Leseliste

Wisst ihr, was ich liebe? Wenn in Büchern über andere Bücher geschwärmt wird. Da liest man einen Roman und bekommt schon dabei Inspiration für neues Lesefutter. Im Falle von Lieber Daddy Long-Legs kommt da eine ganz beachtliche Liste zusammen, denn nach Jahren im Waisenhaus, hat Judys, wie sie selbst sagt, literarisch einiges nachzuholen und verschlingt ein Buch nach dem nächsten, und schreibt voller Begeisterung über das Lesen. Für euch habe ich mal zusammengetragen, welche Bücher Judy so liest, vielleicht bietet sie ja auch euch Inspiration:

Hintergrund zum Buch

Eine Zeitungswerbung für die Romanversion von Lieber Daddy Long-Legs

Jean Webster begann die Arbeit an Daddy-Longs-Legs um 1911, während eines längeren Aufenthaltes in einem alten Farmhaus in Tyringham, Massachusetts. Die Geschichte erschien ursprünglich 1912 als Fortsetzungsroman in dem Magazin Ladies’ Home Journal, wurde jedoch aufgrund des Erfolgs schon kurze Zeit später als Roman veröffentlicht. Die Illustrationen, die Judys Briefe oft begleiten, lieferte die Autorin selbst (sie sind in der Königskinder Ausgabe enthalten).

Der Briefroman wurde ein voller Erfolg und 1913 schrieb ihn Webster sogar als Theaterstück um, und am Broadway brachte es das Stück auf mehr als 300 Vorführungen mit über 175,000 Zuschauer. Anschließend tourte das Stück durch die ganze USA und verzeichnete auch in anderen Städten Erfolge. Bei diesen Vorführungen wurden zudem Judy-Puppen verkauft, deren Erlös Waisenhäusern und Adoptionsvermittlungen zugutekam. 1915 erschien dann mit Dear Enemy auch die heiß ersehnte Fortsetzungen.

Das Filmplakat der ersten verfilmung von Daddy Long-legs 1919

Durch den großen Erfolg des Romans ließ auch die Nachfrage an Filmrechte nicht lange auf sich warten und bereits 1919, also nur sieben Jahre nach Erstveröffentlichung des Romans erschien die erste Verfilmung mit Mary Pickford in der Hauptrolle.
Es folgten zahlreiche weitere Verfilmungen und Adaptionen. So wurde das Buch noch fünfmal, nämlich 1931, 1935, 1938, 1958 und 1984 in verschiedenen Ländern direkt verfilmt. Als Musical wurde es 1952 und 2009 adaptiert und 1990 bekam Judy mit Watashi no Ashinaga Ojisan ihre eigene Animeserie.

Zur Autorin

Jean Webster, eigentlich Alice Jane Chandler Webster, geboren am 24. Juli 1876 in Fredonia (New York) war die einzige Tochter von Annie Moffet Webster und Charles Luther Webster und mütterlicherseits eine Großnichte von Mark Twain. Sie wuchs in einem von Frauen dominierten Haushalt auf, da mit der Familie auch noch ihre Großmutter und Urgroßmutter lebten und kam schon früh in den Kontakt mit den Fragen und Forderungen der Frauenrechtsbewegungen, für die sich die Webster Frauen einsetzten. Auch zur Literatur und der Verlagsindustrie fand Alice früh Zugang, nicht zuletzt durch den Kontakt zu Mark Twain, der nicht nur und Großonkel, sondern auch der Geschäftspartner ihres Vaters war.

Von 1894 bis 1896 besuchte Alice das Lady Jane Grey Internat in Binghamton. Da ihre dortige Zimmergenossin ebenfalls Alice hieß, bat man sie, ob sie nicht auf einen anderen Namen ausweichen könne, um Verwechslungen zu vermeiden und so entschied sie sich für den Namen Jean als Variation ihres Mittelnamen, der später auch ihr Autorinname werden sollte.
Ab 1897 besuchte Webster das Vassar College. Dort belegte sie neben ihren Hauptfächern Englisch und Wirtschaft auch einen Kurs in Wohlfahrt und Strafrechtsreform und begann, sich für soziale Fragen zu interessieren. Im zuge dieses Kurses besuchte sie auch mehrere Einrichtungen für mittellose Kinder und Bürger in New York, was ihr zweifellos Inspiration für Judys Lebensgeschichte lieferte. Darüber hinaus nahm Webster an vielen zusätzlichen Aktivitäten am College,wie Theater, Schreibkurse und Politikveranstaltungen teil und verbrachte ein Auslandsjahr in Europa. Alles Erfahrungen, die in ihren zukünftigen Romanen oft Eingang fanden. 1901 schloss sie das College erfolgreich ab.

Schon wehend ihrer Collegejahre widmete sich Webster dem Schreiben und kurz nach ihrem Abschluss verfasste sie ihren ersten Roman, der 1903 unter dem Titel When Patty Went to College veröffentlicht wurde und in dem sie ihre Collegeerfahrungen verarbeitete.

Daddy Long Legs rund um die Welt

Wie immer bei den Classic Times, möchte ich euch ein paar der zahlreichen internationalen Cover zeigen, denn als Websters erfolgreichster Roman wurde Daddy Long Legs natürlich vielfach übersetzt.

(Wenn ihr mit der Maus über einem Bild stehen bleibt, erfahrt ihr das Herkunftsland bez. die Sprache wenn ich das Land nicht genau bestimmen konnte)

 

Dieses Mal gefällt mir doch tatsächlich eine deutsche Ausgabe am besten, die Königskinder Ausgabe, die ich auch besitze. ♥ Welche Cover mir noch sehr gut gefallen, erkennt ihr an dem ♥, wenn ihr mit der Maus über dem Cover stehen bleibt. Welche Cover mögt ihr?